Month: June 2019

Jan Witteveen: Was ihm an SBK und MotoGP-WM gefällt

Dem ehemaligen Aprilia-Renndirektor Jan Witteveen gefällt die technische Innovation in der SBK. Aber er bewundert, wie ausgeglichen und erfolgreich die MotoGP heute ist.

Jan Witteveen, der Aprilia-Renndirektor von 1989 bis 2005, beobachtet bei seinen heutigen Besuchen im GP-Fahrerlager einen Wandel. «Die MotoGP-Klassen sind zu einer Fahrer-Weltmeisterschaft geworden», meint der Niederländer. «Früher haben die Werke die WM in erster Linie bestritten, um im Rennsport neue Technologien zu entwickeln. Zu meiner Zeit konnte man technisch und motorisch so starke Unterschiede zur Konkurrenz herstellen, dass das Motorrad überlegen war. Das Ziel musste sein, ein deutlich besseres Rennmotorrad als die Gegner auf die Piste zu bringen. Das ist heute nicht mehr möglich.»

Witteveen entschied sich deshalb immer für technische Konzepte, die sich von denen der Japaner unterschieden. Er baute Zweitakter mit Drehschieber-Motoren, als die Japaner 250er-Motoren mit Membran-Einlässen einsetzten. Er brachte in der 500er-WM einen Twin mit anfangs 410 ccm gegen die Vierzylinder von Honda, Yamaha und Suzuki. Er vertraute in der MotoGP-WM von 2002 bis 2004 als einziger Hersteller auf ein 990-ccm-Dreizylinder-Konzept und trat in der Superbike-WM anfangs jahrelang mit einem 1000-ccm-Twin (1998 bis 2002) an.

«Wenn du gegen die Japaner kämpfst und sie nur kopierst, kannst du im besten Fall gleich stark sein, aber sie nie besiegen», lautete die Doktrin von Jan Witteveen. Er rüstete in der 125er und 250er-WM zeitweise jeweils bis zu 18 Fahrer aus, und dank der Überlegenheit seiner Fahrzeuge konnte er Stars wie Biaggi, Capirossi, Harada und Rossi verpflichten und in beiden Klassen einen Titel nach dem andern gewinnen.

Vor seiner Aprilia-Ära hatte Witteveen bei Cagiva und Gilera gearbeitet und beispielsweise die aufsehenerregende 125-ccm-Zweizylinder-Cross-Maschine für Michele Rinaldi (2. WM-Rang 1980) entwickelt.

«Als Techniker gefällt mir momentan die Superbike-WM besser», beteuert Witteveen. «Denn dort werden momentan technische Lösungen verwendet, die im GP-Sport verboten sind. Ducati fährt in der Superbike-WM mit Verkleidungen, die in der MotoGP verboten wären. Auch bei den Motoren sieht man in der SBK viel Innovation; sie haben zum Beispiel ein variables Timing bei den Einlasskanälen. Die Superbikes müssen damit experimentieren, um die Abgasqualität zu verbessern und den Verbrauch zu senken. Auch die Lärmvorschriften in der EU werden für die Straßenmotorräder immer strenger… Deshalb ist die technische Entwicklung der Produkte, die im Verkauf angeboten werden, immer wichtiger. Dieser Aspekt fehlt in der MotoGP komplett.»

Witteveen (72) bewundert jedoch, wie geschickt Dorna-CEO Carmelo Ezpeleta die MotoGP-WM attraktiver und ausgeglichener gestaltet hat. Bei diesen Bemühungen halfen Ideen wie die Einheitsreifen und die Einheits-Elektronik tatkräftig mit. So wurden die Kosten reduziert und die Einstiegsbarrieren für Werke wie Suzuki, KTM und Aprilia gesenkt.

Für die Werke sind die MotoGP-Kosten überschaubar im Vergleich zum Imagegewinn und der Erhöhung des Bekanntheitsgrads. «Wir sind in die MotoGP eingestiegen, weil unsere Moto3-Erfolge weltweit kaum wahrgenommen wurden», sagt KTM-Vorstand Hubert Trunkenpolz.

Die Dorna zahlt den MotoGP-Teams momentan ca. 6,5 Mio Euro für zwei Fahrer, davon gehen pro Fahrer bis zu 2,2 Millionen an die Werke für die Leasingpakete, nur bei Sturzschäden und bei technischen Upgrades müssen die namhaften Teams noch einmal tief in die Tasche greifen. Diese 6,5 Mio beinhalten auch die Zahlungen für TV, Reisekosten, Preisgeld und Antrittsgeld.

Übrigens: Ein Testmotor für den Winter kostet bei HRC bis zu 250.000 Euro. Und eine Karbonschwinge bei Ducati zum Beispiel 35.000 Euro.

Dazu haben fünf MotoGP-Werke (Honda, Yamaha, Suzuki, Ducati und KTM) Verträge mit der Dorna, die recht einträglich sind. Im Gegensatz zur Formel 1, wo Ferrari einen finanziellen Sonderstatus genießt, erhält jedes MotoGP-Werk die gleiche Summe. Dazu wird jeder Hersteller von der Dorna für je ein Kundenteam mit zwei Fahrern mit 2 Millionen Euro extra belohnt. Dieser Betrag gilt aber nur für ein Kundenteam pro Hersteller. Ducati kassiert also für Pramac, für Martinez und Avintia gibt und gab es keine Extra-Zuschüsse, bei Honda für Marc VDS auch nicht. Aber Ducati hat jahrelang bis zu zwei Jahre alte Desmosedici eingesetzt (es waren bis zu acht Ducati auf dem Grid) und dadurch die Entwicklungskosten verteilt und gesenkt.

Aprilia bekommt als Werk von der Dorna keinen Zuschuss, weil sie die Plätze von Privatteambesitzer Fausto Gresini innehaben. Der Italiener wird wohl einen happigen Teil seines 6,5 Mio-Zuschusses an Aprilia weiterreichen müssen – als Leasingkosten für die Bikes.

Dorna schüttet im Jahr total ca. 60 bis 70 Millionen Euro an die Teams in den drei Klassen aus.

In der Formel 1 wird in anderen Dimensionen gerechnet. Liberty Media reicht jährlich 950 Millionen US-Dollar an die Teams weiter.

QUELLE: SPEEDWEEK: https://www.speedweek.com/motogp/news/144888/Jan-Witteveen-Was-ihm-an-SBK-und-MotoGP-WM-gefaellt.html

Starke Argumente: Wieso nur Ducati auf einen V4 setzt

Aufgrund der Überlegenheit der neuen Ducati Panigale V4R in der Superbike-WM 2019 überdenken einige Hersteller ihr Motorenkonzept. Ingenieur Jan Witteveen erklärt die Vorteile der zwei beliebtesten Bauarten.

Wie die Leser von SPEEDWEEK.com seit Donnerstag wissen, setzt Kawasaki auch 2020 auf einen Reihenvierzylindermotor. Die Japaner werden ein neues Motorrad homologieren lassen, welches es mit der laut Ducati fast 250 PS starken und über 16.000/min hochdrehenden V4R aufnehmen können soll.

BMW und Yamaha machen mit ihren jetzigen Modellen weiter. Die S1000RR ist das erste Jahr in der Superbike-WM, die aktuelle R1 bereits die fünfte Saison im Renneinsatz.

Aus Japan wird uns seit Monaten versichert, Honda werde auch zukünftig auf das Fireblade-Konzept vertrauen und mit dem Reihenvierzylinder weitermachen, obwohl beim größten Motorradhersteller jegliches Know-how für einen leistungsstarken V4-Motor vorhanden ist.

Während in der MotoGP-WM Prototypen-Maschinen zum Einsatz kommen, ist die Basis eines Superbikes ein käufliches Straßenmotorrad. Dieses soll meistmöglich verkauft werden, deshalb reden bei der Konzeptgestaltung auch die Marketingstrategen der Hersteller entscheidend mit.

Jan Witteveen, von 1989 bis 2004 Renndirektor und Chefkonstrukteur bei Aprilia Reparto Corse in Scorzé mit mehr als 120 GP-Siegen und 23 Weltmeistertiteln, ist immer noch ein aufmerksamer Beobachter der Szene und sprach in Imola mit SPEEDWEEK.com über die Vor- und Nachteile der beiden bestimmenden Motorenkonzepte: V4 und Reihenvierzylinder.

Jan Witteveen – pic @Fitti Weisse

«Ein wichtiger Punkte sind die Kosten», erklärte der Niederländer. «Der V-Motor ist teurer, weil du die Steuerung für die Nockenwelle zweimal brauchst. Beim Reihenmotor kannst du in einer Linie alle vier Zylinder ansteuern. Der Vorteil des V-Motors ist, dass du eine größere Airbox verwenden kannst und diese näher an den Einlasskanälen ist. Dadurch ist der Luftfluss fast gerade, was bei einem Reihenmotor nicht geht, weshalb er eine geringere Treibstoff-Luft-Füllung hat. Der V-Motor baut außerdem schmaler, ist damit aerodynamisch besser und man bekommt aus ihm mehr Leistung. Der Reihenmotor ist einfacher zu bauen. Es braucht weniger Teile, dadurch ist er günstiger, hat aber wegen der Baubreite aerodynamische Nachteile. Ein weiterer Vorteil ist, dass beim Einsatz einer rückwärtsdrehenden Kurbelwelle der gyroskopische Effekt größer ist als bei einem V-Motor – so werden die Kräfte der nach vorne drehenden Räder teilweise aufgehoben.»

Während in der MotoGP-WM inzwischen alle Hersteller rückwärtsdrehende Kurbelwellen einsetzen, sind in der Superbike-WM lediglich die Ducati mit einer solchen unterwegs.

Trotz aller Nachteile des Reihenmotors vertrauen Yamaha und Suzuki in der MotoGP-WM weiterhin auf dieses Konzept, während Aprilia, Ducati, KTM und Honda einen V-Motor einsetzen. Von den aktuellen Superbikes haben Aprilia und Ducati einen V4-Motor – BMW, Honda, Kawasaki, MV Agusta, Suzuki und Yamaha setzen auf Reihenvierzylinder.

In der MotoGP-WM stellt sich die Motorenfrage nicht so drastisch wie bei den Superbikes. «Dort kämpfen sie mit zu viel Leistung», verdeutlicht Witteveen. Außerdem spielt bei den Superbikes das Konzept der gesamten Produktlinie eine maßgebliche Rolle. «Honda hatte in der Serie V4-Motoren, aber die sind alle verschwunden. Die Japaner sind sehr kostenorientiert, speziell Honda. Honda will günstig produzieren und den Verkaufspreis niedrig halten, aber trotzdem eine gewisse Gewinnspanne haben.»

Mit einem V-Motor käme Honda in ein anderes Preissegment und müsste sich beim Buhlen um Kunden auf einmal nicht mehr mit Kawasaki, Suzuki und Yamaha messen, sondern mit Ducati und MV Agusta, welche beide als Edelmarke wahrgenommen werden, während Honda ein biederer Ruf anhaftet.

«Die meisten Motorräder im 1000-ccm-Sportbereich verkauft BMW», weiß Witteveen. «Sie machen es richtig und behalten ihr Konzept mit dem Reihenvierzylinder bei. Außerdem dürfen in der Superbike-WM inzwischen technische Lösungen gebracht werden, die in der MotoGP-Klasse verboten sind, etwa die variable Einlasssteuerung. Das Problem ist immer die Drehzahl, deshalb ist die desmodromische Ventilsteuerung der Ducati ein großer Vorteil. BMW hat mit dem ShiftCam-System und durch eine leichtere Ventilsteuerung zwar einige hundert Umdrehungen gewonnen, sie werden aber nie an die Werte von Ducati rankommen. Dieses System nützt vor allem im unteren Drehzahlbereich. Wenn die Drehzahlen höher werden, muss der Ventilhub kürzer werden, sonst beginnen die Ventilfedern zu flattern. Bis 15.000/min geht das mit den konventionellen Systemen, darüber hinaus nicht.»

  • QUELLE: SPEEDWEEK: http://www.speedweek.com/sbk/news/142829/Starke-Argumente-Wieso-nur-Ducati-auf-einen-V4-setzt.html?fbclid=IwAR1ot80cs0tc69x-WroA1U16s3hl5LivAKsSgFacM7ggU0XAWZbfLvd-Ivw

Jan Witteveen: Was läuft bei Aprilia heute schief?

Der ehemalige Aprilia-Renndirektor Jan Witteveen wundert sich über die aktuellen Zustände von Aprilia Racing. Er kritisiert die Strategie der Italiener, den Zeitplan und andere Aspekte.

Jan Witteveen fungierte von 1989 bis 2005 als Renndirektor uns Technical Director bei Aprilia Reparto Corse in Noale. Unter seiner Regie wurden 23 Weltmeistertitel gewonnen. Der Niederländer kritisierte die aktuelle Politik von Aprilia Racing schon vor einigen Jahren, als die Italiener mit einem modifizierten Superbike 2015 mit Marco Melandri und Álvaro Bautista in die MotoGP-WM zurückkehrten. Melandri wirkte damals lustlos, denn er wollte eigentlich die Superbike-WM mit Aprilia gewinnen. Aber Piaggio-Group-Chef Colaninno wollte ihn in der MotoGP-WM sehen und versprach ihm damals, man werde ein Sieger-Motorrad bauen und die MotoGP-WM innerhalb von drei Jahren gewinnen.

Melandri betrieb im ersten Halbjahr 2015 eine Art von Arbeitsverweigerung und wurde im August beim Indy-GP durch Stefan Bradl ersetzt, der dann eineinhalb Jahre für das Aprilia-Werk fuhr – bis zum Saisonende 2016. Dann ersetzte ihn Aprilia durch Aleix Espargaró, den Platz von Bautista übernahm Sturzkönig Sam Lowes. Mit Redding und Iannone tat sich Aprilia in den zwei Jahren danach auch keinen Gefallen. Ein Kundenteam hat Aprilia deshalb bis heute nicht gefunden.

Fakt ist: Aprilia hat seit dem Weggang von Gigi Dall’Igna im Oktober 2013 unter Albesiano nur einen WM-Titel gewonnen, und zwar 2014 durch Sylvain Guintoli in der Superbike-WM. Das Motorrad hatte noch Dall’Igna genaut, der jetzt bei Ducati von Sieg zu Sieg eilt. Aprilia Racing (insgesamt 54 WM-Titel) hingegen ist nur noch ein Schatten seiner selbst.

«Ich habe nie verstanden, warum Aprilia 2015 in die MotoGP-WM zurückgekehrt ist, das war reine Zeitverschwendung, weil das Claiming-Rule-Bike nicht konkurrenzfähig war. Außerdem kamen 2016 die Michelin-Reifen und die Einheits-ECU von Magneti Marelli, Aprilia hat also 2015 nichts gelernt», hält Jan Witteeven fest.

Durch das Herumgeistern auf den GP-Strecken 2015 verzögerte sich bei Aprilia die Fertigstellung des reinrassigen und kompakteren RS-GP-16-Motors um ca. vier Monate bis Ende Dezember 2015.

«Wir brauchen jetzt eine halbe Saison, bis wir die neue ECU verstehen», seufzte Rennchef Romano Albesiano damals. Er ließ die Wintertests großteils mit der hauseigenen APX-Elektronik fahren, um bei den Rundenzeiten etwas besser auszusehen. 2016 ließ er dann beim ersten Spielberg-Test im Juli die Transponder abmontieren, um beim öffentlichen Testdebüt von KTM nicht blamiert zu werden. Sämtliche Teammitglieder drehten sich kopfschüttelnd um. Eine umsichtige und vorwärts gewandte Strategie sieht anders aus.

Mugello 2019 – Picture @Mirco Lazzari

Der ehemalige Aprilia-Renndirektor Witteveen will seine Nachfolger in Noale nicht durch den Kakao ziehen. Er weiß, dass bei Aprilia Racing ein riesiger personeller Aderlass stattgefunden hat. Das begann mit Witteveen selbst, setzte sich mit Gigi Dall‘Igna fort und ging mit MotoGP-Projektleiter Marco Bertolatti (für fünf Jahre bei KTM) weiter, zuletzt verabschiedete sich noch Motoren-Designer Mario Manganelli zum F1-Team von AMG-Mercedes.

Die fragwürdigen MotoGP-Fahrerverpflichtungen (Lowes, Redding und Iannone) von Aprilia will Witteveen nicht kommentieren. Aber er verdreht vielsagend die Augen. «Das sind sportliche Aspekte. Wenn das Motorrad funktioniert und konkurrenzfähig ist, ist es auch einfacher, gute Fahrer zu bekommen», betont der Niederländer. «Als Aprilia 2015 in der MotoGP neu angefangen hat, haben sie den Superbike-Motor übernommen und adaptiert. So haben sie ein Jahr vergeudet. Beim CRT-Bike wurde die Kupplung wie bei einem Straßenmotorrad verwendet. Sie mussten dann für 2016 ein echtes MotoGP-Motorrad bauen. Für so ein Projekt brauchst du ein System und eine Rennsport-Struktur, damit es funktioniert. Das hat es bei Aprilia anscheinend nicht ausreichend gegeben.»

Romano Albesiano beklagte sich oft, KTM verfüge dank Red Bull über mehr Geld.

Aber aus unerfindlichen Gründen tanzte Aprilia trotz des knappen Budgets weiter auf zwei Hochzeiten – und zog sich erst Ende 2018 aus der Superbike-WM zurück, als sich beim besten Willen kein Team mehr fand.

Witteveen: «Ich glaube nicht, dass sie bei Aprilia zu wenig Geld haben. Wenn sie das Budget, das sie haben, effektiv einsetzen würden, dann würde das auf jeden Fall reichen. Wenn ich das Geld für unsinnige Bereiche falsch ausgebe, fehlt es dann für nützliche Bereiche.»

Verwunderlich: Aprilia hat als einziger der sechs MotoGP-Hersteller keine eigenen MotoGP-Teamplätze. Man hat sich mit Fausto Gresini verbündet.

Auch Aprilia-Testfahrer Matteo Baicco war eine komplette Fehlbesetzung – zwei Jahre lang. Er war 4 bis 5 sec zu langsam. was er für gut befand, wurde von den Stammfahrern meist nach wenigen Runden als unbrauchbar ezeichnet.

Albesiano war früher bei Cagiva tätig, als die Italiener die 500er-WM bestritten. Inzwischen stellt sich die Frage, ob Albesiano über genügend technisches Wissen verfügt, um sein Projekt in der MotoGP-WM nach vorne zu kommen. Aleix Espargaró spricht jeder Woche von Rückschritt oder Stillstand. 2017 stand er besser da als heute. «Albesiano ist ein gelernter Aerodynamiker. Er kommt aus der Flugzeug-Industrie», kann sich Witteveen ein Schmunzeln nicht verkneifen. «Im Fahrwerksbereich hat er sicher genug Verständnis.»

Jedenfalls hat Aprilia bei der Teamvorstellung schon 2017 den fünften Gesamtrang als Saisonziel ausgerufen. Am Ende reichte es für den 15. Gesamtrang. In der Konstrukteurs-WM unterlag Aprilia 2017 und 2018 gegen Neuling KTM. In diesem Jahr bahnt sich die nächste Niederlage an

  • QUELLE: SPEEDWEEK: https://www.speedweek.com/motogp/news/144260/Jan-Witteveen-Was-laeuft-bei-Aprilia-heute-schief.html

Jan Witteveen über KTM: «Alles braucht seine Zeit»

«Bei Aprilia herrscht nicht mehr derselbe Geist wie früher», meint der ehemalige Aprilia-Renndirektor Jan Witteveen. Er zeigt Respekt vor KTM. «Sie haben die richtige DNA. Aber sie brauchen in der MotoGP Geduld.»

Jan Witteveen (72) war von 1989 bis Ende 2004 bei Aprilia als Rennsport-Verantwortlicher und Technical Director für 23 der total 54 WM-Titel zuständig. Aprilia nahm zeitweise an der 125er-WM, 250er-WM, 500er und Superbike-WM teil. Dazu fand ein Engagement im Supermoto-Szene und sogar in der Trial-WM statt. Heute ist Aprilia nur noch ein Schatten seiner selbst, der letzte WM-Titel wurde 2014 gewonnen, durch Sylvain Guintoli in der Superbike-WM, das Motorrad wurde damals noch von Gigi Dall’Igna entwickelt.

Witteveen trennte sich 2005 von Aprilia, als die Piaggio Group die Firma von Gründer Ivano Beggio übernahm. Witteveen lebt seit vielen Jahren in Österreich und war 2007 auch bei KTM als Technical Director und Rennchef für die 125er- und 250er-WM vorgesehen. Aber die Pläne zerschlugen sich. «Heute bin ich froh darüber, denn das wäre ein Job für sieben Tage pro Woche und 24 Stunden am Tag gewesen», sagt der 72-Jährige.

«Bei Aprilia gibt es heute noch viele kompetente, erfahrene und fähige Mitarbeiter», ist Witteveen überzeugt. «Aber der Geist ist nicht mehr derselbe wie früher. Deshalb funktioniert das GP-Engagement nicht so, wie das gewünscht wird. Bei KTM ist das gesamte Top-Management sehr rennsportorientiert, sie haben die richtige DNA und die ‚Ready to Race‘-Philosophie. KTM ist seit vielen Jahren im Offroad-Sektor sehr erfolgreich, inzwischen auch im Road Racing. In der MotoGP-Klasse ist KTM relativ neu, sie sind das dritte Jahr dabei. Das Management muss in diesem Bereich dazulernen, denn man kämpft jetzt gegen Giganten wie Honda und andere Werke, die schon 20 oder 25 Jahre Erfahrung haben und wissen, was zu tun ist. Da geht es zum Beispiel auch um die parallele Entwicklung der Techniker daheim im Werk, abseits der Rennstrecke. Als ich 1989 zu Aprilia gekommen bin, haben wir auch einige Jahre gebraucht, bis wir Weltmeister geworden sind. 1992 haben wir den ersten 125-ccm-WM-Titel gewonnen, 1994 den ersten 250-ccm-WM-Titel. Alles braucht seine Zeit.»

«Die Zeitunterschiede in der MotoGP sind gering, KTM ist manchmal nur 0,5 sec oder noch weniger hinten», sagt Witteveen. «Die MotoGP ist komplex, weil viele Faktoren eine Rolle spielen. Wichtig ist, dass KTM ein System findet und das Richtige macht. Die Performance in Mugello bestätigte einen klaren Aufwärtstrend. Wenn du in Mugello stark bist, bist du in Catalunya gut, in Brünn und auf Phillip Island, weil diese Pisten ähnliche Charakteristiken aufweisen. Und diese Pisten komme alle erst. KTM hat für diese Grand Prix jetzt eine gute Basiseinstellung.»

Bei der Dorna und IRTA wundert man sich, weil Robert Colaninno seit Jahren nicht mehr bei einem Grand Prix auf Besuch war.
Witteveen: «Bei Aprilia fehlt irgendwie die richtige Einstellung und der Bezug zum GP-Sport… Colannino interessiert die MotoGP nicht besonders. Ihm reicht es, wenn er etwas Anerkennung bekommt, politisch in Italien, er macht das aus irgendeinem Grund, aber er muss es nicht machen. Die geschäftliche Aktivität von Aprilia würde normalerweise nicht genügen, um die Finanzierung des MotoGP-WM-Teams zu rechtfertigen. Der finanzielle Aufwand in der MotoGP steht in keinem Verhältnis zu den Verkaufszahlen von Aprilia.»

QUELLE: SPEEDWEEK: http://www.speedweek.com/motogp/news/144428/Jan-Witteveen-ueber-KTM-Alles-braucht-seine-Zeit.html

Aprilia 2002: Wegweisende Technik mit 3-Zylinder-Cube

Aprilia bestritt die MotoGP-WM schon 2002 bis 2004, damals mit der 990-ccm-Dreizylinder Cube. Ex-Renndirektor Jan Witteveen schilderte die Vorzüge des Projekts und die schwierigen Hintergründe.

Ride by Wire. Pneumatischer Ventiltrieb. Gegenläufige Kurbelwelle. Heute sind das lauter technische Selbstverständlichkeiten in der MotoGP-Weltmeisterschaft, aber 2002 machte sich dieses Knowhow nur ein Hersteller zunutze – Aprilia. Das italienische Werke dominierte jahrelang die 125er- und 250er-WM. Der Niederländer Jan Witteveen diktierte damals als Renndirektor und Technical Director von Aprilia Reparto Corse in Noale das Geschehen. Und er war maßgeblich am ersten und einzigartigen MotoGP-Projekt für 2002 beteiligt. Aprilia setzte damals als einziges Werk einen 990-ccm-Dreizylinder-Motor ein, es handelte sich um einen Reihenmotor. Aprilia-Firmenchef Ivano Beggio wollte damals unbedingt schon im ersten Jahr der neuen Viertakt-Ära dabei sein und den Erzrivalen Ducati übertrumpfen, denn die Roten kamen erst 2003 in die Königsklasse.

Weil Aprilia damals auch in der Superbike-WM mitmischte und die Manpower-Kapazitäten in Noale nicht ausreichten, wurde für den MotoGP-Motor mit Cosworth ein Partner aus der Automobilbranche an Bord geholt. «So konnten wir Zeit sparen, denn Cosworth konnte uns die Zylinder-Einheiten und Kolben der Drei-Liter-Formel-1-V8-Motoren anbieten. So konnten wir die identische Bohrung und einen ähnlichen Hub übernehmen und hatten von Anfang an genügend Power», erinnert sich Jan Witteveen (72), der sich nach 2004 von Aprilia trennte, als Piaggio-Group-Chef Roberto Colaninno dort das Ruder übernahm.

«Wir haben das Layout des Motors bei Aprilia gemacht und die ganzen mechanischen Teile», blickt Witteveen zurück. «Nur die Leistungsteile sind von Cosworth geliefert worden. Die Dreizylinder-Idee kam von uns, weil wir die Leistungsteile mit der Formel-1-Technologie als Basis verwenden wollten.»

Aprilia hatte zunächst Kontakt mit Sauber Petronas Engineering (SPE) in der Schweiz, wo der ehemalige Honda-Formel-1-Ingenieur Osamu Goto am Ruder war. «Aber bei Sauber fehlte das Know-how, dieses Risiko wollten wir nicht eingehen. Außerdem waren die Schweizer zu teuer», erinnert sich Witteveen. «Gleichzeitig hatten wir mit Cosworth vorher schon eine Partnerschaft für unser Zweizylinder-Superbike. Zylinderkopf, Kolben – das haben wir für die SBK damals alles von Cosworth bekommen. Als wir gesehen haben, dass unser MotoGP-Plan mit Sauber schwierig aussah, haben wir den Deal für MotoGP auch mit Cosworth vereinbart.»

«Wir haben uns für 2002 für den Dreizylinder-Motor entschieden, weil dieses Motorrad dann 10 kg leichter sein durfte als die Bikes mit vier und fünf Zylindern. Honda hat damals in der MSMA vorgeschlagen, das Gewicht für Vier- und Fünfzylinder zu vereinheitlichen», weiß Witteveen. «Zu Beginn des Reglements sollte ein Fünfzylinder 10 kg mehr wiegen als ein Vierzylinder. Wir haben dann wie alle anderen Werke eingewilligt, weil keiner von uns auf die Idee kam, dass ein Werk einen Fünfzylinder bauen würde, weil uns das wie ein komisches Konzept erschien. Honda hat überraschend den V5 entwickelt – und hatte dann keinen Gewichtsnachteil gegen die Vierzylinder. Wir haben hingegen die Dreizylinder-Cube geplant, um 10 kg leichter sein zu dürfen als die Gegner. Wir hatten also einen Gewichtsvorteil.»

Aber wegen der Formel-1-Technologie litt die Fahrbarkeit und die Kraftentfaltung der Cube. Trotzdem wurde diese Aprilia Cube in der MotoGP-WM von 2002 bis 2004 an den Start gerollt, 2002 nur mit Régis Laconi, er sammelte 33 Punkte und wurde WM-19. Colin Edwards und Noriyuki Haga steuerte die Cube 2013 auf den 13. und 14. WM-Rang, sie kassierten 62 und 47 Punkte ein. 2004 landete Jeremy McWilliams auf der Aprilia auf dem 19. WM-Rang.

Aprilia vertraute bei der Elektronik nicht auf Cosworth, es wurde eine hauseigene ECU eingesetzt – sie hieß Poker.

«Von der technischen Seite her haben wir uns für das Richtige entschieden», ist Witteveen heute noch überzeugt. «Aber wir mussten alles neu entwickeln, es gab ja nichts für 990-ccm-Dreizylinder-Rennmotoren.»

Außerdem trat Cosworth bei der partnerschaftlichen Weiterentwicklung des Cube-Triebwerks auf die Bremse. Witteveen: «Cosworth wollte Aprilia unbedingt langfristig als Kundschaft behalten. Ich aber wollte Cosworth nur als Start-up nutzen und dann das Projekt zur Gänze selbst übernehmen. Die Engländer haben dann immer gebremst, damit sie bei unserem Projekt so lange wie möglich dabei bleiben konnten. Ich wollte ihnen aber nicht zu viele technische Einzelheiten verraten, weil ich fürchtete, dass sie dieses Wissen in absehbarer Zeit einem Mitbewerber verkaufen würden.»

Aprilia verfügte damals bei Reparte Corse über keinen «Cleaning Room», das ist ein System, bei dem auf höchste Sauberkeit wert gelegt werden muss, es darf kein Sandkörnchen und kein Staubpartikel in der Luft liegen, es muss alles klinisch sauber gefiltert werden, denn die Motoren mit den pneumatischen Ventilen sind in dieser Hinsicht besonders heikel. Das System funktioniert nur bei klinischer Sauberkeit. Erst für 2004 baute Aprilia in Noale einen eigenen Cleaning Room.

Witteven: «Aprilia ist 2005 in die Piaggio Group integriert worden, wie auch Moto Guzzi, Gilera und Derbi. Aprilia existiert seither als eigenes Werk nicht mehr. Es war eine Art Fusion. Moto Guzzi hingegen ist unter Piaggio immer noch ein eigenständiges Werk geblieben. In Noale und Scorzé befindet sich jetzt alles unter dem Dach von Piaggio.»

«2004 haben wir für McWilliams und Byrne in der MotoGP das meiste selbst gemacht und am meisten entwickelt, ohne Cosworth», erinnert sich Jan Witteveen. «Cosworth war nur noch Lieferant. Aber Piaggio hat Aprilia am 1. Januar 2005 als neuer Eigentümer übernommen und das MotoGP-Projekt zugedreht.»

Nach dem Rückzug Ende 2004 kehrte Aprilia erst 2015 wieder in die «premier class» zurück. Von einem eigenständigen Konzept ist seither nicht viel zu sehen. Der erste MotoGP-V4-Prototyp 2016 sah der Honda zum Verwechseln ähnlich.

QUELLE: SPEEDWEEK: http://www.speedweek.com/motogp/news/144064/Aprilia-2002-Wegweisende-Technik-mit-3-Zylinder-Cube.html